Ein Araber und ein Deutscher müssen reden by Hamed Abdel-Samad & Hans Rath

Ein Araber und ein Deutscher müssen reden by Hamed Abdel-Samad & Hans Rath

Autor:Hamed Abdel-Samad & Hans Rath [Abdel-Samad, Hamed]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783644573710
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2016-02-08T16:00:00+00:00


Gespannt

Hans

PS: Apropos avantgardistisch. Gibt es eigentlich eine islamische Avantgarde?

PPS: Und lass gefälligst meine Mutter aus dem Spiel!

Lieber Hans,

ob Hobbes’ Leviathan oder Jeffersons Unabhängigkeitserklärung, beide sind Kinder des englischen respektive amerikanischen Bürgerkriegs gewesen. Es sind Konzepte, die aus der Not entstanden sind und auf den Trümmern gescheiterter Experimente aufgebaut wurden. Auch das deutsche Grundgesetz ist eine direkte Folge der schrecklichen Erfahrungen mit Diktatur und Krieg. Der Mensch ist oft nur lernfähig und kann erst umdenken, wenn die Katastrophe fortgeschritten ist. Staaten sind da nicht viel anders. Vielleicht geht es uns heute noch zu gut, um tatsächlich einen neuen Entwurf und einen großen Wurf zu wagen. Außerdem habe ich Schwierigkeiten mit Hobbes’ Menschenbild vom geborenen Anarchisten, der immer zur Gewalt neigt, wenn er nach seiner Natur lebt. Deshalb sollte dieser Mensch dann von Staat und Kirche gezügelt und zurechtgewiesen werden. Im Dienste des «Commonwealth» sollte dieser Mensch nach Hobbes seine Triebe und sein Verlangen zurückstellen und seine Souveränität an den Staat vollkommen abgeben. Dieses skeptische Bild ist eben vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs entstanden. Ein Gegenentwurf zu diesem Menschenbild hat Nietzsche mit seinem «Übermenschen» entwickelt, der seine Menschwerdung erst vollzieht, wenn er sich von Gott und Kirche befreit hat. David Hume, John Locke, Jean-Jacques Rousseau, Max Weber, Habermas und Böckenförde waren bemüht, den perfekten Gesellschaftsvertrag zwischen dem Staat und seinen Bürgern zu entwerfen. Heute sind wir viel weiter als all diese wunderbaren Philosophen und Staatstheoretiker, allein weil wir sie als Beispiele schon kennen und von ihrem Gedanken- und Erfahrungsschatz profitieren können. Deshalb müssen wir unseren eigenen Entwurf erschaffen. Da hilft uns eine Rückkehr zum aufgeklärten Absolutismus à la Hobbes nicht weiter.

Aber Dein Ansatz ist schon richtig: Wir brauchen einen neuen, zeitgemäßen Gesellschaftsvertrag zwischen Staat, Religionsgemeinschaften und Bürgern, und das nicht nur wegen der zunehmenden muslimischen Einwanderung. Denn unser wunderbares Grundgesetz verpflichtet, wie ich bereits erwähnt habe, den Staat mehr als die Bürger zur Einhaltung seiner Artikel. Ich bin Dir zu Dank verpflichtet, dass Du das Thema Gleichberechtigung von Mann und Frau ins Gespräch bringst, denn an diesem Beispiel wird die Grenze des Grundgesetzes deutlich. Der Staat verpflichtet sich in Artikel 3, Absatz 2 nicht nur zur Gleichberechtigung der Geschlechter, sondern garantiert, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frau und Mann zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken. Aber was bedeutet das in der Praxis konkret? Kann der Staat jenseits der eigenen Institutionen die Gleichberechtigung forcieren? Geht es hier nur um Gleichberechtigung vor dem Gesetz und auf dem Arbeitsmarkt? Kann der Staat die Eltern verpflichten, Jungs und Mädchen innerhalb der Familie gleich zu behandeln? Der Staat kann Gesetze gegen sexuelle Belästigung verabschieden und Anlaufstellen für Frauen, die unter Gewalt leiden, errichten, aber kann der Staat eine Kultur des Machismo und der Gewalt innerhalb der Familien beseitigen? Das wird wohl kaum möglich sein.



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